Das Velo in Zeiten von Corona

Letzte Woche wurde CEO und Testfahrer Thomas Binggeli zur aktuellen Velosituation von Maurin Baumann befragt. Velos sind gefragt wie selten zuvor – trotzdem ist es bei Thömus auch weiterhin möglich, das eigene Traumbike zu konfigurieren.

Hält der Veloboom in Bern an? Verkaufen Sie mehr Velos? Wie schlägt sich dies in Zahlen nieder?

TB: Das Velo boomt weltweit, also auch hier. Aber Bern entwickelt sich immer mehr zum Hot-Spot. Das Velo legt hier in allen Kategorien zu, als effizientes Verkehrsmittel und als vielseitige und gesunde Freizeitbeschäftigung.
Wir haben im ersten Quartal bereits wieder leicht zugelegt, obwohl die Verkäufe schon 2020 auf sehr hohem Niveau gelegen haben.

Stimmt es, dass es in Bern Engpässe für neue Velos gibt? Woran liegt das?

TB: Wie den Boom, so gibt es nun auch die Engpässe überall auf der Welt. Das ist eine grosse Herausforderung für uns. Die Zulieferer wie Shimano oder DT Suisse produzieren, was die Anlagen hergeben, aber das reicht leider nicht. Immerhin haben wir den grossen Vorteil, dass wir als Velohersteller in der Schweiz produzieren, wir bauen unsere Bikes in Thörishaus und hier im Oberried. Zudem profitieren wir auch vom sehr persönlichen Verhältnis mit den Zulieferern aus aller Welt, das wir in den letzten 30 Jahren aufgebaut haben. Dass der Seniorchef von Shimano schon mal in den Oberried zum Fondue kommt, ist in der Krise keine schlechte Basis…

Welche Velos werden wie viel gekauft? E-Bikes/herkömmliche Velos? Alltagsvelos oder eher Outdoor-/Sportvelos?

TB: Es gibt drei Trends: Mobilität im Alltag, immer mehr Pendler steigen für den Arbeitsweg auf das Velo um. Das tun sie vorzugsweise mit einem E-Bike. Stromer und Longrider sind deshalb sehr gefragt. Die beiden andern Trends betreffen den Freizeitmarkt: Rennvelo Gravel ist gerade sehr angesagt. Dank der etwas robusteren Reifen, auf Wunsch auch mit elektrischer Unterstützung, kann man mit dem Gravel auch über Wald- und Feldwege cruisen. Als Megatrend stufe ich die Entwicklung bei den E-Mountainbikes ein. Der Strom machts möglich, dass alle Stärkeklassen miteinander ausfahren können. Ich sehe die Entwicklung ähnlich wie im Skisport: mit Fellen an den Skis stiegen nur die Enthusiasten auf die Berge. Dank Liften und Bergbahnen fährt heute die „ganze Nation“ Ski. Dank dem E-Mountainbike sind heute sehr viele Leute regelmässig an der frischen Luft und gesund unterwegs, welche ohne Strom das Velofahren längst aufgegeben hätten. Das gemeinsame Erleben ist ein Schlüsselfaktor für den Veloboom!

Verkaufen Sie auch Occasionen? Werden diese auch mehr verkauft?

TB: Viele Käufer tauschen ihre Velos ein, somit steigt auch der Occasionsmarkt. Wir bespielen diesen auf einer eigenen Plattform und auch auf verschiedenen anderen Online-Börsen. Auch da zeigt der Trend klar nach oben. (Wieder-) Einsteiger oder Kurzzeitbiker wollen erst mal abklären, was sie wirklich benötigen, bevor sie sich ein neues Bike leisten.

Wie steht es um die Vermietungszahlen?

TB: Mieten liegt sicher auch im Trend. In den Städten sind das Dienste wie Publibike oder Pick-e-Bike, hier bei uns im Oberried mieten viele Besucher des Swiss Bike Parks ein Spezial- oder Testvelo, um sie auf all den trendigen Tracks gründlich auszuprobieren. Ein weiterer Trend sind ebenfalls Gruppenausfahrten mit E-Bikes. Firmen, Clubs, Familien mieten ein E-Mountainbike und schwärmen in das unglaublich vielseitige Veloland rund um Bern aus. Den Erfolg dieser Formel sieht man den Gesichtern nach der Rückkehr und der Anzahl Buchungen an.

Bieten Sie auch Reparaturen an? Wie sehen dort die Zahlen aus?

TB: Unsere Werkstätten im Shop Bern an der Effingerstrasse und im Oberried sind voll ausgelastet. Dank unserem elektronischen Buchungssystem können wir aber den Kunden genaue Termine anbieten, so dass sie genau wissen, wann ihr Velo wieder geflickt zur Verfügung steht.

Wie verändert Corona Ihr Geschäft? Häufiger Online?

TB: Corona hat natürlich auch uns kräftig durchgeschüttelt. Von einem Tag auf den andern stellten wir das gesamte Geschäft auf den online Verkauf um. Das funktionierte auch wegen der erfreulichen Nachfrage ganz gut. Diese erzwungene Schnelldigitalisierung „so persönlich geht digital“ hilft uns natürlich auch heute, da wir die Kunden wieder empfangen dürfen. Schmerzlich war der Ausfall sämtlicher Events.
Aber ich will mich nicht beklagen, Corona hat Tausende Menschen motiviert, mit dem Velo unser wunderschönes Land zu entdecken.

Was gilt es beim Kauf eines neuen oder Occasion-Velo zu beachten?

TB: Jeder Mensch ist anders „gebaut“. Somit ist es sehr wichtig, dass er das passende Velo hat, sonst ist ihm beim Fahren nicht wohl. Deshalb: ausgiebig Testfahren lohnt sich!

Wie erklären Sie sich den Veloboom während Corona? Wird er bleiben oder ist es ein temporäres Phänomen?

TB: Corona hat beschleunigend gewirkt, aber die Genialität des Velos wird Bestand haben. Die Leute werden je nach Verwendungszweck auch mehrere Velos besitzen wollen.
Zusammenfassend: das Velo ist eine sehr menschgerechte Art der Fortbewegung. Schnell genug, um viel zu sehen, langsam genug, um sicher zu sein und auch in der Gruppe fahren zu können.

Gibt es sonstige interessante Beobachtungen bzgl. Veloboom?

TB: Die Schweiz ist eine Velonation. Denken wir an Scott, an DT Swiss aber auch an Stromer und nicht zuletzt hier an Oberried mit dem einzigartigen Swiss Bike Park bei Thömus.
Ganz wichtig: alle Städte- und Raumplaner können künftig kein einziges Konzept mehr kreieren, in dem das Velo nicht als ernstzunehmender Verkehrsträger einbezogen wird.