Trail Talk #2 mit Math Flückiger

«Heute kennen fast alle Schweizer meinen Namen»

In seiner neusten Fit-for-Life-Kolumne spricht Mathias Flückiger über Privatsphäre, Medien und Vorurteile. Viel Spass beim Lesen!

«Wie viel Öffentlichkeit ist mir wichtig, was gebe ich als Sportler und Privatperson preis? Was habe ich dabei selbst in der Hand – und was passiert einfach?

Im letzten Jahr habe ich diesbezüglich enorm viel gelernt und mir viele Gedanken gemacht. Der Wirbel um meine Person hat mir aufgezeigt, wie schnell Bilder und Meinungen entstehen und wie rasant solche Entwicklungen ausser Kontrolle geraten können.

Das hat mich nachdenklich und zurückhaltender gemacht. Früher habe ich spontan und vielleicht manchmal etwas unbedarft zu allem sofort etwas gesagt, ich war gerne viel in den Medien. Ich dachte mir nichts weiter dabei, spontan und ehrlich Auskunft zu geben, wenn ich gefragt wurde, ganz nach dem Motto: ich fahre Velo und sage meine Meinung, was kann da schon passieren? Niemals hätte ich daran gedacht, plötzlich in einen Skandal verwickelt zu werden.

Heute kennen meinen Namen fast alle Schweizer, ohne dass ich diese Entwicklung beeinflussen konnte. Am drastischsten wurde mir dies aber nicht erst bei der Bekanntgabe meines angeblich positiven Tests bewusst, sondern schon vorher nach dem Weltcup in Lenzerheide. «Flückiger schiesst Schurter ab», lautete damals die Schlagzeile. Punkt. Zwar hatte niemand gesehen, was passierte, doch alle wussten, wer der Schuldige ist. Ich staunte, wie viele Menschen über mich urteilten, ohne dass sie die betreffende Situation im Wald gesehen hatten oder mich persönlich kannten. Plakative und negative Schlagzeilen werden scheinbar von vielen Menschen ohne zu hinterfragen aufgesaugt und – noch schlimmer – öffentlich kommentiert, das finde ich extrem bedenklich.

Sollte uns allen zu denken geben
Dass die Schlagzeile wichtiger ist als der Hintergrund und die Grautöne, ist mir jüngst wieder bewusst geworden, als Sportkommentator Sascha Ruefer in der Öffentlichkeit zerlegt wurde, obwohl niemand den Sachverhalt kannte und Wörter aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Was da alles auf Ruefer einprasselte, war einfach grausam. Das sollte einer Gesellschaft und uns allen doch zu denken geben, wenn Diskussionen nur noch auf solch schlicht dummen Ebenen stattfinden und Menschen darunter leiden.

Dafür kann man nicht nur den Medien die Schuld geben, da muss sich jeder selbst an der Nase nehmen, der vorschnell zu allem etwas sagen und kommentieren will. Und man sollte sich auch gut merken, wo man etwas aufschnappt. Bei mir jedenfalls hat es den Schalter definitiv umgelegt, vorsichtiger zu sein, sowohl in meinen Aussagen wie auch in meiner Einschätzung zu Themen, von denen ich nicht genug weiss, um mitreden zu können.

Ich interessiere mich zum Beispiel für Politik und das aktuelle Weltgeschehen, trotzdem fühle ich mich nicht in der Lage, öffentlich dazu eine Meinung abzugeben. Dies auch im Wissen, dass man bei sich politischen Statements auf sehr dünnem Eis bewegt. Mit dem Sport kann ich alle Menschen ansprechen, mit exponierten Meinungen hingegen verliere ich den Teil, der damit nicht einverstanden ist.

Mit den Medien generell habe ich in den schwierigen letzten Monaten mehrheitlich gute Erfahrungen gemacht. Die meisten haben mich nicht einfach in die Pfanne gehauen, vermutlich hatte meine frühere Offenheit auch positive Seiten. Und viele wurden ja rasch selbst skeptisch und haben gemerkt, dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Aber natürlich gibt es einzelne Journalisten, die Sachen geschrieben haben, die ich nicht nachvollziehen kann. Mit ihnen werde ich aber künftig nicht mehr zusammenarbeiten. Was dabei interessant ist: Entschuldigt hat sich niemand, weder die erwähnten Journalisten noch Kommentarschreiber. Eine Verurteilung konnten sie zwar blitzschnell schreiben, aber als sich die Situation änderte, blieben sie ruhig und haben sich versteckt.

Will mich nicht instrumentalisieren lassen
Mein «Kommunikationsleben» ist sicher komplizierter geworden. Wie das vieler Sportler im Rampenlicht. Deshalb gibt es Kurse von Swiss Olympic oder von den Verbänden, wie man sich ausdrücken soll und was man alles sagen oder eher nicht sagen darf. Es heisst dann oft, Sport und Politik gehören nicht zusammen. Doch andere argumentieren: Sport ist immer auch Politik. Bei Dingen, bei denen ich das Gefühl habe, genug zu wissen, werde ich weiterhin etwas sagen. Ich will mich nicht instrumentalisieren lassen und werde meine Meinung und meine Werte auch in Zukunft kundtun.

Wie wichtig eine passende Kommunikation ist, habe ich im letzten Jahr gelernt. Zum Glück hatte ich immer Leute an meiner Seite, die mich beraten haben. Jeder von ihnen hat eigene Erfahrungen aus seinem Fachgebiet eingebracht, der Austausch war enorm wichtig. Ich wollte zu Beginn manchmal emotionaler reagieren und meine Sicht aufzeigen, aber ich glaube, schlussendlich war es richtig, nur dann etwas zu sagen, wenn es auch Sinn machte. Und sicher kann ich mich jetzt besser ausdrücken als früher.

Möchte authentisch sein
Gleichzeitig finde ich es schade, dass man heute alles auf die Goldwaage legen und abwägen muss. Ich möchte mich nicht zu stark verschliessen. Ich will Menschen, die auf mich zugehen und mich etwas fragen, substanzielle Antworten geben und ehrlich sagen können, wie es mir geht oder welche Probleme ich habe. Ich möchte authentisch sein, sonst rächt sich das irgendwann. Das hat auch mit Beständigkeit zu tun und das ist für mich persönlich ein entscheidendes Puzzlestück zum Erfolg, deshalb bin ich auch schon seit zehn Jahren im selben Team.

Heute kann ich sagen: Es geht mir gut, sowohl mental wie auch körperlich. Normalität und Ruhe sind eingekehrt, auch wenn ich im Hinterkopf weiss, dass die Sache noch nicht ausgestanden ist und sicher wieder belastendere Tage und Hürden kommen. Doch vor der Zukunft fürchte ich mich nicht. Ich habe mittlerweile gelernt, wie man mit solchen Herausforderungen umgeht. Die letzten acht Monaten waren dafür das härteste und wirkungsvollste Training.

Nun freue ich mich auf das nächste Rennen, die Bike Revolution am 7. Mai in Chur, und danach auf den Weltcup-Start. Ich bin top motiviert und physisch überraschend gut in Form. Durch den letztjährigen Ausfall am Saisonende bin ich früher dran als sonst mit dem Aufbau und fitter als in anderen Jahren. Das ist interessant zu analysieren auch für eine nächste Saisonplanung.»

Der nächste Trail Talk erscheint am 29. Juni im Fit for Life!